Ärzte ohne Grenzen im Interview: Alltag im Flüchtlingslager

Wie sieht die Arbeit einer Hilfsorganisation in einem Flüchtlingslager aus? Welche Voraussetzungen müssen ihre Mitarbeiter für den Einsatz mitbringen? Das und vieles mehr wollten wir von Ärzte ohne Grenzen wissen. Lesen Sie hier das Interview!

Kind in großem Flüchtlingslager

Das Thema „Flüchtlingskrise“ beherrscht seit Jahren die Medien und die Politik. Laut UNO waren noch nie zuvor so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung wie heute: Mitte 2018 68,8 Millionen. Viele davon kommen in Lagern unter, in denen sich humanitäre Organisationen dafür einsetzen, das Leben für die Geflüchteten erträglicher zu machen und sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Eine dieser Hilfsorganisationen ist Ärzte ohne Grenzen.

Kurzvorstellung Ärzte ohne Grenzen

1971 gründeten zwei unabhängige Ärztegruppen und Journalisten gemeinsam in Paris Médecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen). Seitdem ist es das Ziel der Organisation, weltweit professionelle medizinische Hilfe im Dienst der Humanität zu leisten ohne Partei zu ergreifen. Aktuell ist  Ärzte ohne Grenzen in rund 70 Ländern aktiv.

Von Lesbos bis Uganda: So unterstützt Ärzte ohne Grenzen Geflüchtete

Ärzte ohne Grenzen engagiert sich in Ländern auf der ganzen Welt für Flüchtlinge. Neben Lagern wie Moria auf Lesbos oder Cox’s Bazar in Bangladesch, die in den Medien präsent sind, ist die Hilfsorganisation auch an Orten tätig, die häufig in Vergessenheit geraten sind.

Krankenstation der Ärzte ohne Grenzen in Flüchtlingslager

Ärzte ohne Grenzen versorgt die Menschen in Flüchtlingscamps medizinisch und psychologisch. © Faris Al-Jawad

Weltweit aktiv

Ärzte ohne Grenzen engagiert sich weltweit für Geflüchtete. Aktuell leistet die Organisation in rund vierzig Ländern medizinische Hilfe für Flüchtlinge und Migranten.

„Zum Beispiel sind wir seit 2016 auf der griechischen Insel Lesbos für Geflüchtete im Lager Moria tätig, wo 7000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen untergebracht sind, die eigentlich Schutz suchen in Europa. Außerdem kümmern wir uns im Lager Cox‘s Bazar in Bangladesch um rund eine Million Rohingya. Es ist derzeit das größte Flüchtlingslager der Welt. Andere Länder, in denen Ärzte ohne Grenzen Hilfe für Flüchtlinge und im eigenen Land Vertriebene leistet sind: Kenia, Uganda und Libanon.“

Wussten Sie schon?

  • Durchschnittlich alle zwei Sekunden wird jemand auf der Welt zur Flucht gezwungen.
  • Einer von 110 Menschen weltweit ist von Flucht und Vertreibung betroffen.
  • 52 Prozent der weltweiten Flüchtlinge sind Kinder.

Quelle: UNO Flüchtlingshilfe.

Formen der Unterstützung

Die Unterstützung der Menschen in Flüchtlingslager hat viele unterschiedliche Formen. Neben einer medizinischen Grundversorgung stellen die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen sicher, dass sich keine Krankheiten und Epidemien in den Lagern ausbreiten.

      • „Die Menschen, die geflüchtet sind, brauchen genau wie wir hier in Deutschland eine Basis-Gesundheitsversorgung. Darum kümmert sich Ärzte ohne Grenzen in vielen Fällen. Neben Atemwegserkrankungen, Hautausschlägen und Fieber behandeln unsere Teams auch Mangelernährung oder Erschöpfungssymptome.“
      • „Da unhygienische Bedingungen in Flüchtlingslagern eine große Gefahr für die Gesundheit der Menschen sind, stellt unsere Organisation häufig auch Wasser- und Sanitäranlagen
      • „Auch Impfkampagnen sind wichtig, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.“
      • „Nicht zuletzt bietet Ärzte ohne Grenzen auch psychologische Hilfe für Geflüchtete an, die ein zentraler Bestandteil gesundheitliche Versorgung ist.“

Arbeit und Alltag im Flüchtlingslager

In einem Flüchtlingscamp arbeiten – wie funktioniert das eigentlich? Wir haben nachgefragt, wie die Arbeit der Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen abläuft und welche Herausforderungen auf sie in den Flüchtlingslagern warten.

Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen untersucht Babys

Es gibt auch schöne Momente im Flüchtlingslager: Auf Lesbos untersucht eine Mitarbeiterin zwei Babys. © Anna Pantelia

Ohne sie geht es nicht: Die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen

Ärzte ohne Grenzen beschäftigt an seinen weltweiten Einsatzorten sowohl nationale als auch internationale Mitarbeiter. Anders, als der Name der Organisation vermuten lässt, sind nicht nur Ärzte im Einsatz – auch Hebammen, Pflegepersonal oder Ingenieure leisten Hilfe für Menschen in Not.

Ronhingya im Flüchtlingscamp

Szene aus einem Flüchtlingslager in Bangladesch: Hier setzt sich Ärzte ohne Grenzen für die Rohingya ein. © Dalila Mahdawi

Wie lange der Einsatz eines Mitarbeiters dauert, kann sich je nach Funktion und Projekt unterscheiden:

„Durchschnittlich sind unsere Mitarbeiter zwischen sechs und neun Monaten im Einsatz. Das kann je nach Projekt und beruflichem Hintergrund des Mitarbeitenden auch variieren. Chirurgen und Anästhesisten sind oft nur ein paar Wochen im Einsatz, in denen sie täglich im OP stehen. Bei Leitungsfunktionen sind längere Einsätze üblich.“

Übrigens: Auf der Website von Ärzte ohne Grenzen berichten Mitarbeiter von ihren Erfahrungen in Krisengebieten und ihrer Motivation.

Um von Ärzte ohne Grenzen in ein Einsatzgebiet entsendet zu werden, muss man bestimmte Eigenschaften und Qualifikationen vorweisen können:

      • „Entscheidend sind eine entsprechende Berufsausbildung und zwei Jahre Berufserfahrung.“
      • Fließende Englischkenntnisse sind auch ein Muss.“
      • „Darüber hinaus sind Sensibilität für andere Kulturen und Offenheit für andere Meinungen und Teamfähigkeit
      • „Auch Improvisationstalent und eine hohe psychische und physische Belastbarkeit sind entscheidende Bedingungen für die Arbeit in oft schwierigen Kontexten.“
      • „Und nicht zuletzt muss der Mitarbeitende sich mit unseren Leitbildern und Prinzipien identifizieren können – und sie auch leben wollen.“

Wenn Sie Interesse an einer Mitarbeit bei Ärzte ohne Grenzen haben, finden Sie hier weitere Informationen und Stellenangebote.

Neben deutschen und anderen internationalen Mitarbeitern ist es für die Hilfsorganisation auch wichtig, vor Ort passende Mitarbeiter zu finden: „Nationale Mitarbeiter sind für die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen unerlässlich. Sie sind diejenigen, die oft viele Jahre an einem Ort tätig sind und die Projekte am besten kennen. 2017 waren zum Beispiel 37.844 nationale und 3.664 internationale Mitarbeiter weltweit für uns im Einsatz.“

In folgendem Video erfahren Sie mehr über eine Geburtsklinik im Lager in Domiz im Nordirak, die Ärzte ohne Grenzen mitaufgebaut hat. Hier haben die Mitarbeiter der Organisation innerhalb von vier Jahren insgesamt 3.400 Geburten betreut und 24.500 Sprechstunden abgehalten. Heute verwalten einheimische Behörden die Klinik.

Arbeiten im Flüchtlingslager: Aufgaben und Herausforderungen

Ob Moria auf der Insel Lesbos, Cox‘s Bazar in Bangladesch oder im Lagerkomplex Bidi Bidi in Uganda: Flüchtlingslager sind häufig schon allein wegen ihrer Größe sehr unübersichtlich. Gemeinsam mit vielen anderen Hilfsorganisationen packt Ärzte ohne Grenzen da an, wo gerade Unterstützung gebraucht wird. Die medizinische Hilfe liegt dabei im Fokus.

„Die großen Flüchtlingslager werden meist vom UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, verwaltet. Oft sind dann viele verschiedene Hilfsorganisationen dort tätig, die die Arbeit je nach Hauptkompetenz aufteilen. Ärzte ohne Grenzen kümmert sich um die medizinische Versorgung, wenn Bedarf besteht, verteilen wir aber auch Hilfsgüter wie Decken und Seife oder sorgen für funktionierende Latrinen.“

Flüchtlingslager in Bangladesch

Die Zustände in Flüchtlingslager sind oft chaotisch. Ärzte ohne Grenzen helfen auch bei der Bereitstellung funktionierender Sanitäranlagen oder verteilen Hilfsgüter. © Daphne Tolis

Den „typischen Arbeitstag“ gibt es für Mitarbeiter der Hilfsorganisation im Grunde nicht. Jeder Tag kann neue Herausforderungen bereithalten.

„Typischerweise sind die Tage sehr lang und sie beginnen mit Teammeetings. Je nach Job schult die Hebamme dann beispielsweise einheimische Kolleginnen, mobile medizinische Teams besuchen die Menschen in ihren Unterkünften und sehen, wie es ihnen geht und was sie brauchen. Der Logistiker kümmert sich um die neue Medikamentenbestellung. Doch es kann auch alles anders sein, denn nicht zuletzt ist es wichtig, dass das Team schnell auf neue Situationen reagieren kann.“

Flexibilität ist also sehr wichtig für die Arbeit in Flüchtlingslagern. Die Mitarbeiter müssen aber auch täglich mit schwierigen Situationen oder belastenden Eindrücken umgehen: „Nicht zuletzt kann ein Einsatz mit großen persönlichen Herausforderungen einhergehen.“  Daher hat Ärzte ohne Grenzen „verschiedene Mechanismen, um die Projektmitarbeiter während und nach ihren Einsätzen psychologisch zu unterstützen“.

Die oft schwierigen hygienischen Umstände in den häufig überfüllten Lagern sind das Eine. Besonders belastend sind für die Menschen auch die psychologischen Folgen einer Flucht: „Unsere Mitarbeiter berichten von den psychischen Notlagen und der Verzweiflung der Menschen. Viele sind traumatisiert von dem, was sie in ihrer Heimat erlebt haben, von der Flucht, aber auch von der Situation im Lager selbst.“

Die medizinische Versorgung der Geflüchteten reicht also bei weitem nicht aus. Auch die psychologische Hilfe ist ein entscheidender Bestandteil der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Flüchtlingslagern geworden. „Wir machen Gesprächsangebote für Menschen, die Angstzustände haben, unter Schlaflosigkeit leiden oder angesichts der Perspektivlosigkeit ihrer Lage nicht mehr weiterwissen.“

Mann mit Baby in Flüchtlingslager

Geflüchtete psychologisch unterstützen: auch das gehört zur Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Flüchtlingslagern. © Anna Pantelia

Eine weitere Herausforderung für Mediziner und Pfleger ist, dass die technischen Voraussetzungen mit dem Alltag hier in Deutschland nicht zu vergleichen sind. Gerade das aber empfinden viele der Mitarbeitenden als bereichernde Erfahrung und als Lektion, sich wieder auf die Kernkompetenzen zu besinnen.

Wussten Sie schon?

Das sind die fünf größten Herkunftsländer von Flüchtlingen (Stand Ende 2017):

      • Syrien – 6,3 Millionen
      • Afghanistan – 2,6 Millionen
      • Südsudan – 2,4 Millionen
      • Myanmar – 1,2 Millionen
      • Somalia – 986.400

Quelle: UNO Flüchtlingshilfe

Für die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen spenden

Um weiterhin humanitäre Hilfe für Menschen in Krisengebieten zu leisten, ist Ärzte ohne Grenzen auf Spenden angewiesen. Wir haben nachgefragt, wie Spenden aus Deutschland notleidenden Menschen zugutekommen.

„Nur durch Spenden können wir lebensrettende Hilfe leisten. Damit wir weltweit schnell und flexibel dort aktiv werden können, wo die Not am größten ist, bitten wir in der Regel um zweckungebundene Spenden. Viele unserer Projekte befinden sich in Krisenländern, die nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen und für die kaum Spenden eingehen.“

Mann und Baby mit Atemgerät

Ärzte ohne Grenzen setzt finanzielle Mittel dort ein, wo sie am dringendsten benötigt werden. © Faris Al-Jawad

Die Organisation finanziert sich fast ausschließlich aus Privatspenden:

„Wir sind dankbar, dass uns im vergangenen Jahr rund 600.000 Menschen ihr Vertrauen bewiesen haben, in dem sie uns mit ihren Spenden unterstützt haben. Ärzte ohne Grenzen finanziert sich zu mehr als 90 Prozent aus Spenden von Privatpersonen. Seit 2016 nehmen wir kein Geld von EU-Regierungen – aus Protest gegen die Migrationspolitik. Von jedem gespendeten Euro fließen fast 90 Cent in die Hilfe für die Menschen in unseren Projekten. Etwas mehr als zehn Cent benötigten wir für Verwaltung, Spendenwerbung und allgemeine Öffentlichkeitsarbeit.“

Wir bedanken uns bei Ärzte ohne Grenzen sehr herzlich für das Interview und die interessanten Einblicke!

Mehr zur Arbeit von Ärzte ohne Grenzen und Möglichkeiten, für die Organisation zu spenden, erfahren Sie auf der Website www.aerzte-ohne-grenzen.de. Lesen Sie auch unser Porträt über die Organisation und ihre flexible Nothilfe in Krisengebieten im RAAB-Magazin.

Übrigens: Der RAAB-Verlag unterstützt Ärzte ohne Grenzen durch das Angebot von Spendenkarten. Entdecken Sie in unserem Online-Shop die Grußkartenkollektion „Ärzte ohne Grenzen“. Von jeder verkauften Karte kommt ein Teil des Erlöses der Hilfsorganisation zugute!

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